Boulevard Ulmer Straße

Serie von Erwin Hafner zur Ulmer Straße

Serie von Erwin Hafner zur Ulmer Straße

Presse

Schwäbische Post vom 06. Oktober 2016 von Erwin Hafner

Erinnerungen wecken
Kulturboulevard Ulmer Straße: Zum 25-jährigen Theaterbestehen rückt auch die Villa Cherbon in den Mittelpunkt der Feierlichkeiten

Die Villa Cherbon mit der Marienkirche daneben gehört zum Kulturboulevard in der Ulmer Straße. Zum Auftakt der Feierlichkeiten sind die Gebäude in den Blickpunkt gerückt, denn beide haben tatsächlich miteinander zu tun.

Aber wer war Cherbon? Und welche Geschichte hat dieses Haus? Karl Sigmund Cherbon hat seit dem Bestehen der katholischen Kirchengemeinde eine wichtige Rolle gespielt.

Als Direktor der Union-Werke, die man früher wegen ihres Hauptproduktes, einer Schuhcreme, als „Wichse“ bezeichnete, war Karl Sigmund Cherbon, der wohl bedeutendste Laie der damaligen Diaspostorapfarrei Aalen. Er stammte aus Mulfingen an der Jagst und muss in den frühen 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts nach Aalen gekommen sein.

Hier gründete er 1887 einen katholischen Lehrlingsverein. Ein Jahr später hat er die Initiative zur Gründung des „Vereins für katholische Krankenpflege“ durch Barmherzige Schwestern ergriffen und für zunächst zwei Schwestern eine Wohnung beschaffen: Das heute noch neben der Marienkirche stehende Haus, in dem sich später eine Wäscherei befand. In den Chroniken der Kirchengemeinde leuchtet Cherbon in diesen Jahren geradezu auf. Er regte an, förderte, griff ein, war rastlos tätig und trug so wesentlich zur Aktivierung des Lebens der Pfarrgemeinde bei.

Lange Jahre, auch nach dem Tod ihres Mannes, leitete Frau Cherbon den „Armen-Näh-Verein“, dessen Aufgabe es war, bedürftigen Familien mit Kleidern auszuhelfen. Viel zu früh, im Alter von 62 Jahren ist Karl Cherbon 1910 gestorben. Auf dem St. Johann-Friedhof erinnert noch seine repräsentative Grabstätte an einen großen Wohltäter.

Erbauer der Villa Cherbon war Baumeister Wilhelm Seifferer, der auch die bekannte Seifferer-Villa am Stadtgarten (heute Kreishandwerkerschaft) erstellte. Dessen Neffe, Julius Seifferer, leitete die Kreuz-Brauerei. Deren Wiege stand um 1840 mit dem „Kreuzstüble“ in der Mittelbachstraße.

Aalener Brauerreileiter und Pferdeliebhaber

Julius Seiffert verlegte sie aus der Stadt hinaus und errichtete an der Mühlstraße moderne Neubauten. Unter anderem den nach ihm benannten „Julius-Turm“. Dorthin lud er regelmäßig Aalener Honoratioren zum Umtrunk ein. Bis zum Bau des Handelshofs stand direkt gegenüber der Brauerei seine stattliche Villa mit Stallungen, weil Seifferer ein großer Pferdeliebhaber war.

Die Kreuz-Brauerei wurde 1929 stillgelegt. Julius Seifferer wurde 1945 nach dem Einmarsch der Amerikaner im Rohrwang von einem GI erschossen, weil er trotz Verbots mit umgehängten Gewehr auf einem Motorrad zur Jagd fuhr. Die von Baumeister Wilhelm Seifferer bei der Marienkirche erstellte Villa bewohnte Karl Cherbon bis zu seinem Tod. Später zog die Landeszentralbank und das Jugendamt des Landkreises ein. Danach nutzten es die Eigentümer der Firma Betten-Krauss als Wohnhaus. Im Erdgeschoss befindet sich heute das Atelier einer Künstlerin, die mit Alpakawolle arbeitet.

Eines der riesigen Foto-Transparente, mit denen die Aalener Theaterleute dem Kultur-Boulevard Ulmer Straße Leben einhauchen, zeigt die Künstlerin vor der Villa, flankiert von zwei Alpakas, die zwei Aalener als Hobby halten. Das Großformat, wurde kaum, dass es aufgestellt war, von Sprayern verunstaltet.


Schwäbische Post vom 14. Oktober 2016 von Erwin Hafner

Ist die Aalener Industriebahn tot?
Kultur-Boulevard Ulmer Straße: Theater regt zum Nachdenken an.

Welche Gedanken lassen den verwunderten Betrachter dieses außergewöhnlichen Transparents aufblicken? Es steht an der Kreuzung der Aalener Industriebahn mit der Ulmer Straße bei der Gesenkschmiede (GSA). Ein älterer Teilnehmer bei der Eröffnung des Kultur-Boulevards dachte spontan an ein altes Kinderlied: „Auf der Eisenbahn fährt ein schwarzer Mann, zündt ein Feuerlein an, dass man fahren kann“.

Was auch immer die Fotografen vom Fotolabel MIAA inspiriert haben mag: Die Industriebahn im Süden der Stadt liegt nahe. Die Aalener Theaterleute warten jedenfalls gespannt darauf, welche Eindrücke ihnen zugesandt werden. Die Aalener Industriebahn wurde 1904 angelegt und an die Königlich Württembergische Staatseisenbahn angeschlossen. KWStE stand abgekürzt auf den Loks: „Komm Weib steig ei“ übersetzte man launig auf Schwäbisch.

Die Industriegleise verlaufen vom Bahnhof parallel zur Ulmer Bahnlinie, überqueren den Bahnübergang Walkstraße, trennen sich kurz danach vom Hauptschienenstrang und verzweigen sich hier zur GSA, zur Firma Seydelmann und zur Erlau. Gleisanschluss hatten auch die Union-Werke und die einstige Tonwarenfabrik Stützel-Sachs (heute Tonfabrik). Beide nützten die Industriebahn genauso für den Transport ihrer Produkte wie die einstige Seidenzwirnerei und Seidenpapierfabrik Egelhaaf (ein Teil bislang Schrottfabrik).

Was ist daraus geworden?

Galt seinerzeit die Eröffnung der Industriebahn als ein epochaler Schritt für das Aalener Eisenbahnwesen und die Industriebetriebe, ist deren Bedeutung im Laufe der Jahrzehnte deutlich zurückgegangen. „Industriebahn wird teilweise stillgelegt“ titelte 2001 die SchwäPo. Gemeint war das „Stammgleis II“, an das noch die Firmen Seydelmann und Triumph angeschlossen waren. Beide Unternehme signalisierten, dass sie den Gleisanschluss nicht mehr bräuchten.

Michael Fleischer (Grüne) wandte sich seinerzeit gegen die Stilllegung und forderte ein „zukunftsweisendes Konzept“ für die gesamte Industriebahn. „Wir nutzen noch die Gleise so gut es geht“ ließ drei Jahre später die GSA wissen. Die meisten Firmen hatten jedoch bereits komplett auf Lkw-Transporte umgestellt. Noch 2007 teilte die Stadt mit, dass eine Umfrage unter den Nutzern an der Ulmer Straße ergeben habe, dass sie weiterhin gedenken, Material- und Warentransporte über die Schiene abzuwickeln. Das, so hieß es im Gemeinderat, sei Wirtschaftsförderung, die beibehalten werden solle. Seit etwa zwei Jahren hat nun auch die GSA die Nutzung der Industriebahn eingestellt. „Zuletzt wurde nur noch das Eingangsmaterial per Bahn geliefert. Raus ging alles über Speditionen“, erklärte Produktionsleiter Gerhard Baier.

Bei SHW in Wasseralfingen gehört zwar die Zeit, in der noch eine eigene Werkslok übers Areal fauchte, gleichfalls längst der Vergangenheit an. Aber gelegentlich herrscht hier immer noch Zugverkehr. Die DB-Cargo liefert bei Bedarf einen Waggon direkt in eine der Werkshallen. Alfing hat seit 2002 keinen Bahnanschluss mehr. Der wurde seinerzeit von der Bahn kurzerhand gekündigt. Überraschend und nicht nachvollziehbar für die Firmenleitung. Der Grund: Es habe zu wenig Transporte gegeben. Die Gleise auf den Werksanlagen wurden 1936 auf einer Gesamtlänge von drei Kilometern angelegt und nach der Kündigung 2002 abgebaut.


Schwäbische Post vom 18. Oktober 2016 von Erwin Hafner

Wer kennt den stattlichen Erlenbau?
Boulevard Ulmer Straße: Kulturelle Abstecher in Ex-Firmen Egelhaaf und Schrottfabrik.

Die Erlau kennt jeder. Wer weiß aber wo sich der Erlenbau befindet? Wer vom Boulevard Ulmer Straße aus dorthin will, muss etliche Hundert Meter zwischen den Werksanlagen der GSA südlich hindurchgehen. Vor einem Platz erhebt sich dann ein repräsentatives Gebäude der einstigen Seidenzwirnerei Egelhaaf, das derzeit von der muslimischen Moschee-Gemeinde genutzt wird.

Dahinter erstrecken sich die Produktionsanlagen der früheren Seidenpapierfabrik Egelhaaf, die getrennt aber gleichfalls von einem Familienzweig der Egelhaafs betrieben wurden. Nach der Betriebsstillegung hatte sich hier die Schrottfabrik eingemietet. Diese hat ihren Betrieb auch eingestellt.

Zur Eröffnung des Boulevards Ulmer Straße waren drei der zuvor schwarz-düsteren Räume renoviert worden. Zum Auftakt bengalisch beleuchtet, spielte die Stadtkapelle. Später trat hier der „Bürgerchor“ erstmals auf. In einem der anderen Säle wurde zum Abschluss der Veranstaltung eine französische Filmkomödie gezeigt.

Die Nutzung der aufgeputzten Schrottfabrik aus diesem Anlass war eine Eintagsfliege und dem Entgegenkommen der Stadt zu verdanken, die mittlerweile das gesamte Areal erworben hat . Was sie in Zukunft damit zu tun gedenkt? „Es gibt noch keinen Plan“, erklärt Pressereferentin Karin Haisch. „Aber es wurde eine Projektgruppe mit der ‘Kreative’ (Architekten, Designer etc.) gebildet, die das ganze Gebiet der Südstadt städteplanerisch weiter entwickeln soll. Und dazu gehört auch das Gebiet Erlenbau samt dem Egelhaafschen Werksareal“.


Schwäbische Post vom 07. November 2016 von Erwin Hafner

Multi-Kulti-Kick im Schatten der Moschee
Christlich-islamischer Dialog im kleinen Kreis: Zum Beispiel spielen zwei Geistliche Fußball mit Jugendlichen.

Wo einst die Wiege des VfR Aalen stand, wird heute wieder Fußball gespielt. Gewissermaßen im Schatten des Minaretts. Von jungen Muslimen der Moschee-Gemeinde und Flüchtlingskindern, die direkt gegenüber mit ihren Eltern in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge im fremden Land ein vorläufiges Obdach gefunden haben.

Mit von der Partie sind, wie ein großes Transparent davor zeigt, auch zwei Geistliche: der Imam der Moschee-Gemeinde und Pfarrer Manfred Metzger, der jetzt in Unterkochen tätig ist und zuvor Pfarrer in Aalen war.

Multi-Kulti-Kick also am „Boulevard Ulmer Straße, „weil es auch immer wieder Kontakte zu heimischen Jugendlichen und Institutionen gibt“, wie Petra Schaf als Leiterin der Gemeinschaftsunterkunft wissen lässt. „Andererseits liegt ein vertrauensvolles Miteinander auf der Hand, sind doch viele unserer Flüchtlinge Muslime. Aber auch mit christlichen Gruppen bestehen Kontakte.

So öffnete die Moschee-Gemeinde beispielsweise spontan ihre Räume, als es für einen von St. Maria ausgerichteten Nikolaus-Nachmittag dort schlichtweg zu eng war. „Und wenn bei einem Fest in der Moschee Essen oder Leckereien übrig sind, so fällt für unsere Kinder genauso etwas davon ab, wie wir auch Zelte oder Spielmaterial ausgeliehen bekommen“, erzählt Petra Schaf.

Auf Initiative von Pfarrer Metzger kam 2007 in Aalen ein christlich-islamischer Dialogkreis zustande, der sich sporadisch trifft. Dabei geht es zunächst um das gegenseitige Kennenlernen, den Abbau von Misstrauen und Vorurteilen, vor allem aber die kategorische Ablehnung und Verurteilung von jeglicher Form von Gewalt. Ein Beitrag im Kleinen. Aber gerade darauf kommt es mehr und mehr an.


Schwäbische Post vom 02. Dezember 2016 von Erwin Hafner

Die „Wacht am Rhein“ – ein Rückblick
Boulevard Ulmer Straße: Theaterleute erinnern an eine ehemalige Gaststätte in Aalen bei der Erlau und an die Wiege des VfR Aalen.

An die „Wacht am Rhein“ wollen derzeit die Theaterleute auf dem Boulevard Ulmer Straße erinnern. Die „Wacht am Rhein“ war im Deutschen Reich ein patriotischer Begriff. Gerichtet auf den Erbfeind jenseits des Rheins. Aus dieser Gesinnung heraus wurden einst viele Gaststätten so benannt. Wie auch in Aalen bei der Erlau. Später verbanden die Aalener mit dem Begriff etwas anderes. Gegenüber der „Wacht am Rhein“ lag die Wiege des VfR Aalen.

Die Anfänge der Rasenkicker gehen auf das Jahr 1907 zurück. Damals kickte als erster Fußballclub in Aalen die „Arminia“ in den „Lederhosen“, nahe des heutigen Kino-Centers. Bald darauf nannte sich der Verein „1. Fußballclub Aalen“. 1911/12 ging daraus der FC Pfeil hervor. Mit dem fast gleichzeitig von ganz jungen Sportlern ins Leben gerufenen „Blitz“ wurden alsbald beide Aalener Clubs, die beim damaligen Bahnübergang an der Gmünder Straße spielten, zu Angstgegnern der Nachbarvereine.

Die Wurzeln des VfR gehen auf den umgetauften FC Pfeil und den 1907 gegründeten Fußballclub Aalen zurück. 1913 pachtete der Verein gegenüber der „Wacht am Rhein“ einen neuen Platz (später Baustoffhandlung Weber). Im Vereinslokal „Wacht am Rhein“ konnten sich die Spieler umziehen. Am westlichen Ende stieß die Wirtschaft an den Kocher, wo sich die Kicker nach dem Spiel frisch machen und ihre Schuhe putzen konnten.

Nach dem ersten Weltkrieg gelang es dem VfR zusammen mit der neu gegründeten Ballspielabteilung des Kraftsportvereins Germania erneut, von der Kreuzbrauerei einen halbjährlichen Pachtvertrag für den Rasenplatz zu erhalten.

Beim Schlagerspiel des Jahres 1920 trat die Bezirksmannschaft Aalen-Wasseralfingen-Unterkochen vor 3000 Zuschauern gegen die Stuttgarter Kickers an. Das Publikum musste sich erstmals an eine Neuerung gewöhnen: Es wurden 50 Pfennig Eintritt verlangt. Nachdem alle Bemühungen um Verlängerung des Pachtvertrags für die „Wacht am Rhein“ scheiterten, erhielt der VfR 1924 einen städtische Acker neben der Sandgrube im Zebert, den er bis 1925 als Spielfeld herrichtete.

Nach dem plötzlichen Entschluss des Cannstatter Eigentümers, die „Wacht am Rhein“ doch wieder zu verpachten, wurde die Anlage im Zebert weiterhin als Trainingsplatz genutzt. Ab 1929 wurde er an die DJK Aalen unterverpachtet, deren Pachtvertrag für ihren Platz beim Grauleshof nicht verlängert wurde.

Im Dritten Reich wurde der Platz des Arbeiter-Turnvereins Jahn, der heutige SSV-Platz, enteignet und der Verein aufgelöst. Der Platz im Rohrwang hieß jetzt Schlageter-Kampfbahn.

Der Durchmarsch des VfR

Hier begann dann mit der Kreismeisterschaft 1937/38 der sensationelle Durchmarsch des VfR in die höchste Fußballklasse: Am 11. Juni 1939 gelang mit einem 2:1-Sieg gegen den FC Lustenau der Aufstieg in die Gau-Liga. Dieses Spiel wurde vermutlich bei der „Wacht am Rhein“ ausgetragen, weil sich der Rohrwang-Platz noch im Umbau befand und erst am 10. Dezember 1939 eingeweiht werden konnte.


Schwäbische Post vom 16. Dezember 2016 von Erwin Hafner

Das Turmkreuz an der Hochstraße
Boulevard Ulmer Straße: Die große Fototafel weckt Erinnerungen an die Geschichte der Marienkirche, die eng mit der Entstehung der Hochstraße verknüpft ist.

Welche Symbolik! Die Leute vom Fotolabel MIAA haben das Bild als überdimensionales Transparent für die Boulevard-Aktion des Aalener Theaters geschaffen: Nächtlicher lichterflutender Verkehr auf der Hochstraßenbrücke über der Eisenbahn. Mit dem sich darüber senkenden Kreuz auf dem Turm der Marienkirche.

Die Geschichte dieses Gotteshauses ist tatsächlich eng mit der Hochstraße verknüpft. Die alte neugotische Marienkirche musste nämlich kurz nach ihrem 100-jährigen Weihejubiläum der geplanten Hochstraßenbrücke weichen, weil diese nur zwei Meter am Chor vorbeigeführt hätte.

1969 wurde der Abbruch der Kirche verfügt, was heute aus unterschiedlichen Gründen kaum mehr möglich wäre und auch damals auf heftigen Widerstand vieler Gemeindemitglieder stieß.

Denen war die erste katholische Kirche in Aalen ans Herz gewachsen. Bis zu deren Bau 1868 mussten die wenigen Katholiken der Stadt, aber hauptsächlich die aus Hofherrnweiler, zum Gottesdienstbesuch in die Muttergemeinde nach Unterkochen – vor allem im Winter ein langer und beschwerlicher Fußweg. Die Weilermer gingen nicht durch die Stadt, sondern am Langert entlang.

St. Maria am Schnittpunkt der Rems- und Brenzbahn galt nicht zuletzt als Kirche der Eisenbahner. Sie kamen mit dem Anschluss Aalens an das Bahnnetz aus dem katholisch geprägten Umland, vor allem vom Härtsfeld und dem Ellwanger Hinterland und fanden bei der Eisenbahn, als Lok- und Zugführer, als Schaffner, Heizer, Rangierer, Stellwerker und Bahnwärter an den Schrankenübergängen, vor allem aber bei der sogenannten „Reparatur“ und dem Betriebswerk Arbeit und Brot.

Mit ihnen entstand das Wohngebiet Hirschbach und die Galgenbergsiedlung. Bis heute erinnert an sie ein Kunstgussrelief mit der heiligen Barbara in der neuen, 1972 geweihten Marienkirche. Barbara gilt nämlich nicht nur als Patronin der Bergleute, Eisengießer und Artillieristen, sondern auch der Eisenbahner. Angebracht hatten das Relief die Mitglieder des vor wenigen Jahren aufgelösten Eisenbahner-Singchors.


Schwäbische Post vom 10. Januar 2017 von Erwin Hafner

Ostertag: Aufstieg und Niedergang
Boulevard Ulmer Straße: Aktion der Aalener Theaterleute an der sogenannten Ostertag-Kreuzung. Die einst weltberühmte Firma wäre jetzt 150 Jahre alt.

Nur wer ganz genau hinsieht, muss baff sein. Ein Paar Schuhe auf der Spitze eines Bitzkastens an der Ostertag-Kreuzung! Was soll das? Daneben eines der Transparente am Boulevard Ulmer Straße, das auf die Werksanlagen der einst weltbekannten Ostertag AG gegenüber hinweist, die jetzt „Safe“ heißen soll.

Die Aalener Theaterleute provozieren mit dieser skurrilen Installation bewusst auch hier. Sollen die Schuhe etwa an die einst 800 Leute erinnern, die bei Ostertag Arbeit und Brot fanden und am Schluss unter dramatischen Umständen den Laufpass erhielten?

Die einst ob ihrer Stahltresore – einer ging sogar an den Papst – weltbekannte Firma wäre jetzt 150 Jahre alt. Aber 2001 kam nach jahrelangem Ringen und Kämpfen um die Arbeitsplätze das Aus. Und danach galten die maroden Firmengebäude als Schandfleck für Aalen. In einem gerafften Rückblick auf der Basis einer von Beate Naffin in Zusammenarbeit mit der IG- Metall erarbeiteten ausführlichen Dokumentation soll das Schicksal dieses Aalener Traditionsbetriebs verdeutlicht werden.

Anfang in der Lammgasse

1867: Jakob Ostertag erwirbt eine Kupferschmiede in der Lammgasse und eröffnet hier eine Bauschlosserei. Weil er zuvor in der ältesten Geldschrankfabrik Europas in Wien tätig war, beginnt der Schlossermeister Kassenschränke mit Sicherheitsschlössern zu fertigen.

1873: Umzug in neues Fabrikgebäude an der Neuen Heidenheimer, heute Ulmer Straße. 1870 besteht ein Ostertag-Kassenschrank die Feuerprobe in einem SHW-Schweißofen. Von da an gehen diese Produkte in alle Welt.

1891 übernimmt Friedrich nach dem Tod seines Vaters das Unternehmen. 1893 erhält Ostertag als einziger europäischer Aussteller der Branche auf der Weltausstellung in Chicago einen „Grand Prix“. 1900 produziert das Werk mit 200 Mitarbeitern auch Stahlkammern, Banktresore und Mietfachanlagen. 1904 wird Ostertag Aktiengesellschaft und übernimmt die Geldschrankfabriken Goetz & Co Stuttgart und die Tresor AG in Berlin.

Weltkrieg und Wirtschaftskrise

1914: viele Mitarbeiter im Krieg. Produktion wird auf Geschützlafetten umgestellt. 1925 stirbt Friedrich Ostertag. 1927 kommen in der Produktion Stahlmöbel für Übersee hinzu. Übernahme der Schnitzer AG Ludwigsburg. 1930 bis -32 geht die Belegschaft im Zeichen der Weltwirtschaftskrise auf 70 Mitarbeiter zurück. Nach allgemeiner Wirtschaftsbelebung erwirbt 1936 Otto Böhringer, Freudenstadt, die Aktienmehrheit.

1939 bis 1945 Im 2. Weltkrieg wird Ostertag mit 400 Leuten Rüstungsbetrieb.

Wiederaufbau

1945: Wiederaufbau der zerstörten Fabrikgebäude. 1952 Gründung der Ostertag-Organisations-Gesellschaft. 1953: Karl Brenneke löst Hermann Schipprak als Alleinvorstand ab. Bis 1967 Erweiterung des Werks. Danach: erste Anzeichen des Niedergangs. 1968 Rationalisierung mit wenig Erfolg. 1970: Hauptaktionär Otto Böhringer verkauft die Aktienmajorität an einen Münchner Wertpapierdrucker. 1971 Reduzierung des Personals auf 710 Leute.

1973: Verkauf der Aktienmajorität an Helmut Winter (Schweiz). Feier des 100-jährigen Bestehens in der Stadthalle. Kurz danach Eröffnung des Vergleichsverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit. 370 Beschäftigte verlieren ihren Arbeitsplatz: Kampf der IG Metall für einen Sozialplan. Verkauf der Werke in Hamburg und Söflingen.

Rettungsversuche

1974: Gründung einer Auffanggesellschaft. Verkauf Werk II an GSA. 1996 Aufnahme des zweiten Vergleichs. Kampf mit den Banken um Sanierungskonzept. Eröffnung des zweiten Konkurses. 1997 Gründung einer Auffangfirma. 1998 Demo vor dem Aalener Rathaus zur Rettung der Arbeitsplätze. Trotzdem Eröffnung des dritten Konkurses. Übertritt eines Teils der Belegschaft in eine Beschäftigungsgesellschaft Mypegasus. 2001 Stilllegung des Betriebs nach dem vierten Konkurs.