Nata und Sam waren im Publikum, als die Künstler*innen Ant Hampton und Rita Pauls „Mund-Stück“ am Theater Rampe aufführten - eine kluge und poetische Erzählung ihrer Annäherung an die deutsche Sprache und ein Spiel mit Wörtern, für das sie durch Deutschland getrampt waren und gesammelt hatten, was Menschen unbedingt mal sagen wollten. Beim Gespräch danach reagierten Nata und Sam spontan auf die Einladung der Künstler*innen, eine eigene Version von „Mund-Stück“ zu erarbeiten. Und sich damit, wie Rita und Ant vor ihnen, der deutschen Sprache zu nähern. Also reisten Nata und Sam eine Woche lang durch Deutschland. Mit rudimentären Deutschkenntnissen und Audiorekorder im Gepäck. Sie stellten den Menschen, denen sie begegneten, eine Frage: „Was, denken Sie, sollte einmal gesagt werden?“ Und kombinierten aus den aufgenommenen Antworten, rein nach ihrem Klang, schließlich auswendig gelernt, eine Performance, mit der sie im Sommer 2020 zum ersten Mal auf der Bühne standen.
„Mund-Stück 2“ verhandelt die Annäherung zweier Brüder – in einer afghanischen Familie geboren, im Iran als Geflüchtete aufgewachsen, nach einer Flucht durch Europa in Deutschland angekommen – an die deutsche Kultur und die deutsche Sprache. Es bietet die Möglichkeit einer anderen Lesart des Blicks auf Integration und Assimilation bei Geflüchteten, die meist als eingeschüchterte oder unterwürfige Handlung verstanden wird. Durch ein Land zu reisen, Fremde gezielt anzusprechen und sie sprechen lassen, die Intonation einer Sprache zu verinnerlichen und sich mit dem Gesagten intensiv zu beschäftigen ist eine Herangehensweise, die sich massiv davon unterscheidet, wie der Prozess der Integration normalerweise verstanden wird. Die unbefangene Neugier der beiden Reisenden und ihr spezieller Sinn für Humor eröffnet jeder*m, der*die ihnen begegnet, radikal neue Perspektiven.
Amir und Binyamin Saadat sind Afghanen, die nie in ihrem Land waren. Geboren und aufgewachsen im Iran, flohen sie 2015 nach Deutschland und leben aktuell beide in Esslingen. Amir Saadat macht momentan eine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker am Theater der Altstadt in Stuttgart, Binyamin Saadat besucht Sprachkurse. Beide singen im One World Chor. Seit 2019 sind sie Teil des Nachbarschafts-Ensembles VOLKS*THEATER RAMPE und wirkten bei den Produktionen „Tag Y“ und „Auf die Plätze“ mit. Als Künstlerduo Nata und Sam realisierten sie im Jahr 2020 die Performance „Mund-Stück 2“.
Im Gebäude eines Theaters mag man einiges erwarten – eine Zahnradbahn dürfte aber sogar hartgesottene Theatergänger*innen überraschen. Schon der Standort ist programmatisch für das Theater Rampe. Ausgehend vom Autor*innentheater erweitert es die Theaterpraxis diskursiv und interdisziplinär. Stadträume, Kooperationsprojekte, partizipative Ansätze befördern den Zugang heterogener Öffentlichkeiten zum Theater. Gegründet wurde der gemeinnützige Theater Rampe e. V. im Jahr 1992. Gemeinsam mit Marie Bues übernahm Martina Grohmann 2013 die Intendanz des Theater Rampe; seit 2021 bildet Grohmann gemeinsam mit Geschäftsführerin Franziska Stulle die Theaterleitung. Im Sommer 2023 steht ein Leitungswechsel ins Haus: Ilona Schaal und Bastian Sistig werden ab der Spielzeit 2023/2024 die Leitung des Theater Rampe.