Theater trifft ... den Städtepartnerschaftsverein

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Diskussion zu "Auge um Auge"

Nach der Aufführung von „Auge um Auge“ am 09. Oktober sprach Tina Brüggemann mit ihren Gästen Hermann Schludi, Beate Schön, Roland Hamm, Annamaria Parodi-Böckling und Dr. Roland Schurig über die unterschiedlichen Facetten des Theaterstückes. Eine Frage bestimmte besonders die Podiumsdiskussion: Darf ein Rechtsstaat körperliche Strafen anwenden?

Das Theater schaut in diesem Jahr sehnsuchtsvoll nach Italien. Passend dazu beginnt die Spielzeit mit der deutschsprachigen Erstaufführung von „Auge um Auge“ der italienischen Autorin Patrizia Zappa Mulas. Das Stück verhandelt den Fall der Iranerin Ameneh Bahrami, die ein Säureattentat nur knapp überlebte und daraufhin nach dem Recht der Scharia die gleiche Strafe für den Täter forderte. Im Zentrum der Handlung stehen drei Idealisten, die über die drohende Vollstreckung des Urteils streiten. In ihren heftigen Dialogen fehlt es dabei nicht an südländischem Temperament. Zu Beginn der Diskussion sprach die gebürtige Italienerin Annamaria Parodi-Böckling über das Frauenbild in ihrem Heimatland. Gewalttätige Übergriffe gegen Frauen sind ein gesellschaftliches Problem in Italien, die im schlimmsten Fall gar zum „Feminizid“ führen. Die TeilnehmerInnen waren sich aber schnell einig, dass solche Misshandlungen nicht spezifisch für das südeuropäische Land sind, sondern überall stattfinden können. Herrmann Schludi ging in diesem Kontext näher auf das Stück ein und beschrieb die Haltungen der Figuren. Für ihn sind die von Mulas aufgeworfenen Konflikte ein „globales Phänomen, das im Weltdorf jeden betrifft.“

Beate Schön wies auf die besondere Sprachbehandlung des Stückes hin. Denn Mulas vermischt auf eine spannende Art und Weise politische und private Aspekte miteinander. Damit hebt sich die Autorin klar von deutschen DramatikerInnen ab, die gesellschaftliche Fragen häufig auf einer rein intellektuellen Ebene verhandeln und eine formstrenge, distanzierte Sprache pflegen, so Tina Brüggemann. Der menschliche Grundkonflikt besteht für Mulas jedoch gerade zwischen rationalem Denken und affektivem Empfinden, was sich letztendlich auch im gesellschaftlichen Umgang mit physischer Gewalt zeigt. Doch wie geht eine Gesellschaft damit in einem rechtlichen Sinne um: Wie kann gewalttätiges Handeln sanktioniert werden? Können körperliche Strafen nach dem Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, wie es Ameneh Bahrami verlangte, tatsächlich etwas bewirken?

Dr. Roland Schurig ging ausführlich auf die historische Entwicklung der Gesetzgebung in Deutschland ein und führte den Begriff der Vergeltung ein. Unser Verständnis von rechtsstaatlichen Prinzipien bildete sich erst im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik aus und befindet sich in einem ständigen Prozess. Wie Roland Hamm in diesem Zusammenhang bemerkte, ist der Verzicht auf körperliche Strafen keine Selbstverständlichkeit im Westen, denn selbst in einem modernen Staat wie den Vereinigten Staaten gibt es noch in einigen Bundesländern die Todesstrafe.

Im anschließend ins Publikum geöffnete Gespräch wurde klar: Die Gesetzgebung muss auf demokratischen Werten begründet sein und darf nicht primär das Ziel der Abschreckung verfolgen. Eine juristische Strafe soll – so sieht es das deutsche Gesetz vor – die Bevölkerung schützen und die Täter langfristig resozialisieren. Aus den unterschiedlichen Beiträgen des Abends wird außerdem deutlich: Bei der Suche nach einer angemessenen Strafe muss sowohl die Perspektive des Opfers als auch die des Täters berücksichtigt werden.

Stück und Inszenierung arbeiten diese unterschiedlichen Sichtweisen scharfsinnig heraus, indem die Figuren für beide Parteien Stellung beziehen. Gleichzeitig weisen sie daraufhin, wie die Einstellung zu Gewalt vom kulturellen Hintergrund beeinflusst wird, was für jedes politische System zutrifft. Erst wenn ein Bewusstsein für diese Voraussetzungen vorhanden ist, kann ein Dialog zwischen den Kulturen stattfinden.

Wer mag, kann die Diskussion weiter vertiefen: am 21.11. mit der Autorin Patrizia Zappa Mulas und/ oder am 25.11. mit Collin Schubert der Islamspezialistin von Terres des Femmes, die mehrere Jahre in Afghanistan lebte.