Theater trifft ... mitten ins jenische Herz

Theater trifft ... mitten ins jenische Herz

Gastspiel "Die Reis´"

Am 14. März war das Theater Konstanz mit Die Reis´ - einem Theaterstück über die Jenischen - zu Gast in Aalen. Auf die Reis´ machten sich daher auch viele aus der jenischen Community weit über den Ostalbkreis hinaus. Sie blieben nach der ausverkauften Vorstellung zusammen mit den Theaterschaffenden und Eberhardt Looser von der „Initiative Jenisch diebra“ beim Theater trifft und sprachen angeregt über ihre Geschichte.

„Wie kam es dazu, Die Reis´ zu schreiben?“, wollte Intendant Tonio Kleinknecht von dem überraschend angereisten Autor Gerd Zahner wissen und eröffnete damit die Gesprächsrunde.

Als Singener Anwalt mit vielen jenischen Mandanten wollte Zahner ihnen einen künstlerischen Erinnerungsraum schaffen. Denn die Jenischen sind eine soziale und keine ethnische Gruppe von Handwerkern und Händlern, die ökonomisch, rechtlich und sozial aus der Mehrheitsbevölkerung in Mitteleuropa ausgeschlossen wurden. So begannen sie mit einer Dauermigration und werden wie Sinti und Roma, Zirkusartisten und andere Darsteller offiziell als „Landfahrer“ bezeichnet. Auch wenn es immer wieder Perioden gab, in denen ein größerer Teil von ihnen sesshaft wurde, wie zum Beispiel in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg. Viele Jenische haben sich nach der Erfahrung des Kriegs wieder angesiedelt und an dem jeweiligen Ort assimiliert, so dass sich das Jenische - wenn überhaupt - dann nur über die Sprache erhalten hat. Jenischen zugeordnet wird eine Sprachvarietät des Deutschen, die aus dem Rotwelsch hervorgegangene jenische Sprache. Zu einem zweiten starken Niederlassungsschub führte in den mitteleuropäischen Staaten um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Einführung der Freizügigkeit, die den Nichtbürgern zusehends mehr Rechte verlieh.

Auch Eberhard Looser, der aus Fachsenfeld-Himmlingsweiler stammt, sagte, dass es ihm erst während seiner Schulzeit bewusst geworden wäre, Jenischer zu sein. Seitdem ist es ihm Anliegen, das Jenische in der Region zu erhalten und sichtbar zu machen. So schrieb Looser ein Buch über den sogenannten Arbeiterweg. Der Arbeiterweg war ein Pfad, der es den Jenischen im 19 Jahrhundert ermöglichte, ins Bergwerk nach Wasseralfingen zu gelangen, ohne dabei auf die Reis´ zu müssen. „Dennoch sei für viele Jenische das erzwungen sesshafte Leben unerträglich“, meint der Regisseur Mark Zurmühle, „weil sie eigentlich die Tradition der Reis´ weiterführen wollen würden.“ Dies wurde ihm und den Schauspielern bewusst, als sie Jenische am Bodensee für das Stück Die Reis´ interviewten. Wegen ihres vermeintlich unsteten Lebens wurden die Jenischen von den Nationalsozialisten als „umherirrende, zigeunerhafte Asoziale“ verfolgt und in Konzentrationslager verbracht.

Anders als Sinti, Roma und Juden haben die Jenischen aber bisher keinen Gedenkort, obwohl das Leiden während der NS-Zeit auch Teil ihrer Identität ist. Das vergrößert nach Meinung der Podiumsgäste noch die Sprachlosigkeit und die Traumata der Betroffenen. So kamen – laut eines anwesenden jenischen Kaufmanns aus Fichtenau - allein sechs Jenische aus seinem Ort in Konzentrationslagern ums Leben. Auf seine Initiative hin und erst nach zähen Verhandlungen wird dort nun der erste deutsche Gedenkstein errichtet werden. Beeindruckt von der Resonanz des Publikums und des Engagements der jenischen Vertreter*innen verabschiedete sich Zahner mit den Worten „Die Reis´ sei ein Stück, das nicht ausgrenze, sondern integriere. Konflikte könnten überwunden werden, wenn wir uns alle bemühten, aufeinander zuzugehen“, und setze damit dem Abend einen allgemeingültigen Schlusspunkt.